Beratersuche starten
Berater suchen

"Man will nicht als der ehrliche Dumme dastehen"

Im Interview mit der VLH gibt Soziologe Wolfgang Franzen einen Überblick, was in den Köpfen der Steuerzahler vorgeht.

Hinweis: Dieser Artikel befindet sich im VLH-Archiv, dem Langzeitgedächtnis von www.vlh.de. Da sich die Gesetzeslage im Steuerrecht kontinuierlich verändert, ist dieser Artikel eventuell nicht mehr aktuell.

VLH: Mehr als 10.000 Euro zahlt der Deutsche im Schnitt allein für die Einkommensteuer – jedes Jahr. Müsste da nicht jeder Steuern hinterziehen?

Wolfgang Franzen: Die Menschen zahlen aus unterschiedlichen Gründen Steuern. Wir unterscheiden verschiedene Typen. Häufig trifft man diejenigen, bei denen das Zahlen der Steuern auch mit ihren Überzeugungen übereinstimmt. Die sagen: Ich stimme dem System zu. Ich sehe Steuern als meinen Anteil am Gemeinwesen.

Die zweite und noch größere Gruppe typischer Steuerzahler hat Angst vor Strafe. Diese Angst wird verstärkt dadurch, dass man sich ja auch erst mal schlau machen müsste, um erfolgreich Steuern zu hinterziehen. Dazu sind viele Menschen nicht bereit.

Empfinden die Bürger Steuern als einen guten Handel mit dem Staat?

Wir sprechen von der empfundenen Äquivalenzgerechtigkeit: Stehen Steuern und Leistungen in einem ausgewogenen Verhältnis? Und das zweifelt die Mehrheit an. Staatliche Leistungen sind auch keine klassischen Gegenleistungen und damit schwer zu fassen.

Aber die Kennzahlen dazu sind diffus, wie bei einem Gefühl. Wer will das auch genau bewerten – den Wert der Schulausbildung, die Versorgung im Krankenhaus, den Nutzen des Autofahrens auf öffentlichen Straßen? Prinzipiell herrscht aber ein negatives Steuerklima in Deutschland vor. Man bekommt also den Eindruck, dass man zu viel Steuern zahlt.

Gibt es Menschen, die bereitwilliger Steuern zahlen als andere?

Je mehr Geld die Leute haben, desto weniger gern scheinen sie sich davon zu trennen. Man möchte meinen, die könnten es sich vielleicht am ehesten leisten. Das erklärt auch die öffentlich vermittelte Empörung bei Fällen wie dem des Klaus Zumwinkel oder Uli Hoeneß, die ja sehr vermögend sind und sich alle Welt fragt, warum hinterziehen so welche auch noch Steuern?

Die Erklärung: Der Betrag der Steuer wird als Verlust empfunden. Dann kommt vielleicht noch der Eindruck dazu, das Geld wird vom Staat verschwendet. Zusätzlich wirkt vielleicht noch ein sozialer Aspekt: Was sollen meine reichen Freunde denken, wenn ich so viel Steuern zahle? Steuern nicht zahlen genießt in bestimmten Kreisen ein gewisses Prestige.

Der Gründer unseres Forschungs-Instituts hat sich in den 50er Jahren noch gar nicht getraut, die Leute bei Studien direkt zu fragen, ob sie schon einmal Steuern hinterzogen haben. Heute kann man das jeden fragen. Und man bekommt auch tendenziell ehrliche Antworten. Wir sehen: Es gehört dazu, auch ein bisschen damit anzugeben, die Steuerlast reduziert zu haben. Man will nicht als der ehrliche Dumme dastehen.

Schätzen die Leute richtig ein, wie viel Steuern hinterzogen werden?

Die Leute schätzen in Umfragen, dass 60 Prozent der Mitbürger Steuern hinterziehen. So viele sind es höchstwahrscheinlich nicht. Aber wie genau die Zahlen aussehen, weiß keiner.

Was macht glücklicher: eine satte Steuerrückzahlung oder wenn man den gleichen Betrag monatlich einspart – beispielsweise über Freibeträge oder Ehegattensplitting?

Die meisten Leute empfinden es positiver, einmal eine große Rückerstattung zu bekommen. Es schmerzt weniger, wenn man monatlich vergleichsweise hohe Steuern vom Gehalt abgezogen bekommt. Ein Selbstständiger, der den gleichen Betrag an das Finanzamt überweisen muss, empfindet das als viel schlimmer.

Aber bei Angestellten wird das Geld direkt an der Quelle abgeführt. Und das wird zum gewohnten Vorgang, oft gar nicht mehr bemerkt. Gehaltszettel werden meist kommentarlos abgelegt. Kaum jemand regt sich jeden Monat über die Abzüge auf.

Ist unsere Wahrnehmung verzerrt im Bezug auf Steuern?

Prinzipiell überwiegen die negativen Informationen in der Wahrnehmung, beispielsweise über verschwendete Steuergelder. Dazu fallen den Menschen immer Antworten ein. Aber wenn wir fragen: Was bekommen Sie an staatlichen Leistungen? Dann wissen viele Leute nicht sofort eine Antwort.

Außerdem bewerten Menschen Gewinne und Verluste unterschiedlich. 100 verlorene Euro wiegen schwerer als 100 gewonnene. Psychologen sprechen von der sogenannten "Prospect Theory". Umgemünzt auf unser Steuersystem heißt das: Steuererhöhung verkauft man am besten in einem Rutsch, Erleichterungen in kleinen Happen.

Zahlen die Deutschen gern Steuern?

Am liebsten zahlen die Schweden. Interessanterweise zahlen aber auch die englischsprachigen Völker vergleichsweise gern, wie die Engländer oder auch die US-Amerikaner. Die Steuerkultur in Deutschland ist immer noch gut. Schlecht ist es hingegen in Italien oder Griechenland.

Grund: Die Schweden haben viel mehr das Gefühl, an den Ausgaben mitentscheiden zu können und davon auch zu profitieren. Gegenteil Griechenland: Da haben die Leute das Gefühl, mit den Politikern gar nichts zu tun zu haben. Wenn die Leute dann die Möglichkeit sehen, Steuern zu hinterziehen, machen sie es auch. Und zwar mit dem Gefühl, das sei moralisch richtig.

Wer ist eigentlich glücklicher: Wer die Steuererklärung macht, wer sie nicht macht, oder wer sie machen lässt?

Kommt auf den psychologischen Typ an. Die Spielertypen beschäftigen sich gern mit solchen Themen. Wenn die nachher 10 Cent rausholen, sind die glücklich. Andere Typen nehmen in Kauf, gar keine Steuerrückzahlung zu erhalten. Das ist ihnen lieber, als die Zeit für das Sammeln der Dokumente und die Recherche der notwendigen Informationen zu investieren.

Gut jeder dritte Deutsche fühlt sich von der Komplexität des Steuerrechts überfordert und lässt die Steuererklärung lieber vom Fachmann machen. Das Gefühl der Sicherheit und die vergleichsweise geringe Mühe überzeugt vor allem diejenigen, die sich weniger gern mit dem Thema Steuern beschäftigen und folglich nur über geringe Sachkenntnis verfügen.


Das Interview führte Thomas Sillmann

Zur Person: Wolfgang Franzen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomik, einer unabhängigen Forschungseinrichtung in Köln. Seit über 20 Jahren geht er steuerpsychologischen Fragestellungen zu Steuermentalität, Steuermoral und Steuerwiderstand nach und hat zahlreiche empirische Studien dazu durchgeführt. Aktuell beschäftigt er sich mit Steuerkultur im internationalen Vergleich.

Mit anderen teilen

Das sagen unsere Mitglieder

★★★★★
★★★★★
4,5 von 5 Sternen
(44.165 Bewertungen)
Die Meinung unserer Mitglieder ist uns wichtig. Daher führen wir regelmäßig Zufriedenheitsumfragen durch. Weitere Informationen