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Bundesfinanzhof: Leitlinien zur Dauer eines Gerichtsverfahrens

Inhaltlich richtig und so zügig wie möglich: Der Bundesfinanzhof hat erstmals allgemeine Leitlinien für Finanzgerichte formuliert.

Ein durchschnittliches Gerichtsverfahren vor einem Finanzgericht sollte nicht länger als gut zwei Jahre dauern. Von dieser "Angemessenheitsvermutung" kann man dem Bundesfinanzhof (BFH) zufolge ausgehen. Anders sei es bei besonderen Umständen im Einzelfall.

Diese und weitere Leitlinien hat der BFH erstmals offiziell in einem 2013 entschiedenen Urteil formuliert (Aktenzeichen X K 13/12). Doch wie kam es dazu?

Über acht Jahre Warten auf ein Urteil

Der konkrete Fall: Ein Mann hatte am 20. Februar 2004 eine Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg eingereicht. Im Verfahren ging es um den Anspruch auf Kindergeld: Der Kläger hatte seinen Hauptwohnsitz in Deutschland, während seine Frau mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000 nach Nordirland gezogen war.

Zwischen 2004 und 2012 kam es zu einem ständigen Hin und Her zwischen der deutschen Familienkasse, dem Finanzgericht Baden-Württemberg sowie der für kindergeldähnliche Leistungen zuständigen Behörde Nordirlands beziehungsweise Großbritanniens. 

Erst im Oktober 2012, also mehr als achteinhalb Jahre später, einigte sich der Kläger mit der Familienkasse und beide erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Am 8. November 2012 verschickte das Finanzgericht einen Kostenbeschluss, wonach die Familienkasse die Kosten des Verfahrens zu tragen hatte.

Kläger fordert Entschädigung in Höhe von 22.000 Euro

Am 21. November 2012 klagte der Mann auf Entschädigung: Ausgehend von einer als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren begehrte er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 7.200 Euro. Außerdem forderte er Ersatz von Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während des Klageverfahrens belastet wurden und die er in Höhe von fast 15.000 Euro auf die verzögerte Auszahlung des Kindergelds zurückführte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe die Höchstdauer von instanzgerichtlichen Verfahren mit acht Jahren absoluter Höchstdauer angesetzt. Der Kläger verklagte das Finanzgericht Baden-Württemberg deshalb auf über 22.000 Euro Entschädigung.

Das Finanzgericht lehnte die Klage ab und hielt sie für unbegründet. Die Verzögerungsrüge des Klägers habe dieser zu spät erteilt. Außerdem sei der Fall rechtlich wie auch tatsächlich äußerst komplex gewesen und die ausländischen Behörden hätten Anfragen nur sehr zögerlich beantwortet.

Damit zeigte sich der Kläger nicht einverstanden und ging in Revision.

BFH spricht dem Kläger Anspruch auf Entschädigung zu

Der Fall kam vor den Bundesfinanzhof. Die BFH-Richter/innen stellten zunächst einmal fest, dass die Verzögerungsrüge des Klägers nicht zu spät erteilt worden sei. Außerdem stimmten die Münchner Richter/innen der Ansicht des Klägers zu, dass die Dauer des Ausgangsverfahrens tatsächlich unangemessen war. Allerdings bezifferten sie die Verzögerung auf einen Zeitraum von 43 Monaten und nicht 68. Der Kläger bekam Anspruch auf eine Entschädigung. 

Die ersten Leitlinien für Finanzgerichtsverfahren

Über die konkrete Fall-Entscheidung hinaus stellten die Richterinnen und Richter des BFH erstmals in dieser Form Leitlinien für die Dauer und Qualität eines Verfahrens vor einem Finanzgericht fest:

Demnach hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten von einem Gericht "innerhalb einer angemessenen Frist verhandelt wird", und zwar "in angemessener Zeit". Allerdings sei die zügige Erledigung eines Rechtsstreits kein Selbstzweck: Stattdessen müsse auch die inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleistet sein. Die Grenze für die Dauer eines Verfahrens dürfe deshalb nicht zu eng gezogen werden. 

Durchschnittliches Verfahren soll maximal gut zwei Jahre dauern

Der BFH führte weiter aus: "Vor diesem Hintergrund spricht bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen soll". Soll heißen: Ein Finanzgericht sollte ein durchschnittlich anspruchsvolles Gerichtsverfahren in gut zwei Jahren entschieden haben.

Gleichzeitig sollten die zuständigen Richter/innen in innerer und äußerer Freiheit und Unabhängigkeit sowie inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen treffen. Mit zunehmender Verfahrensdauer hätten Finanzgerichte die Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen.

Kein Rechtsanspruch auf kurze Gerichtsverfahren

Bislang gab und gibt es auch weiterhin keinen Gesetzestext, in dem konkrete Fristen genannt werden, wann ein Verfahren im Regelfall abzuschließen ist. Anders gesagt: Einen zuverlässigen Rechtsanspruch auf ein Gerichtsverfahren unter zwei Jahren gibt es nicht.

Der Grund: Wie lange ein Verfahren dauert, richtet sich nach wie vor nach den Umständen des Einzelfalls, vor allem nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Übrigens:

Die durchschnittliche Verfahrensdauer sämtlicher Verfahren beim Bundesfinanzhof lag 2021 ebenso wie im Vorjahr bei neun Monaten. Diese Zahl umfasst alle Arten von Verfahren, also auch Nichtzulassungsbeschwerden und Prozesskostenhilfeanträge. Bei den Revisionsverfahren liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer im Berichtsjahr bei 22 Monaten. Die Bearbeitung der Nichtzulassungsbeschwerden dauerte durchschnittlich sieben Monate. Quelle: www.bundesfinanzhof.de.

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